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BLAUBLATT

Rote Käfer
Münda_warum immer
Münda_einundeins
Münda_inner halb
Münda_ichsagedir
halbhalt
Gehtiere
Wirr_flirren
Wirr_tukalle

Udo Schindler clarinets
Ingrid Schmoliner piano, voice

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Linernotes

There is improvised music that sounds great live––compelling, enthralling, engaging, satisfying, everything––it seems perfect and full as you listen in the moment. And then later you hear that live recording and wonder…wait, was that it? What happened to the vitality that was in the air during the performance, surrounding the music?

Somewhere in-between experiencing improvised playing and then listening-back, through the form of the recording, what was special somehow dissipated, it’s gone; the true product of the energy of the moment was, alas, only in the moment.
But then there are recordings of improvised music that seem to capture MORE of what was happening. You hear and you renew. And if you were there, you chide yourself for not hearing everything you hear in the recording. And if you weren’t there, it can make you glad, because it frees you to listen anew each time, and not harp on the remembrance of what your thoughts, feelings, and moods would have been during the performance.

This new duo recording documents the premiere meeting of pianist Ingrid Schmoliner and clarinetist Udo Schindler. The recording contains moments that expand over time, filling it beyond traditional measure.
Schmoliner and Schindler improvise dynamics with spatial volume and a sense of proximity, perhaps not surprising considering that Schindler is an architect by day. The music starts with Schmoliner hitting single notes that sound as if they are running into a wall: only an out of place reverberation remains. Schindler is silent for almost a minute, listening to the sequence of eleven individually-struck notes. He allows Schmoliner to be herself and get oriented before unfurling himself into the soundscape.

That effect of the dynamic of distancing paradoxically gives each musician complete support: they know each other are there, and they know each other care. Space is given and taken away: they fight, retreat, and return to complement. Distance within sight. Seeing from a distance.
They let each other go, and they go easy on themselves (not an easy accomplishment for the best improvisors.) They don’t push too hard, abstaining from making constant streams of sound, declining to convince their duet partner that they are listening. They wait to feel compelled; they wait and test the other to compel them.
Schmoliner discovers a different kind of percussive playing than is her usual, becoming feline- symphonic, with prehistoric claws that, instead of threatening, grip home more securely, propulsive railroad, professional rainbow.
Schindler sounds like Günter Müller turning Rudi Mahall upside down, his bass-clarinet transforming into an analog-synth diamond cutter by the final track, the perfect match to Schmoliner’s profound soul-in-the-cavern-of-the-atmosphere yodeling.

Crying, belchy dropped things get whipped and clicked with a smack of the lips, deeply and playfully.

–Andrew Choate, October, 2016

 

Es gibt improvisierte Musik, die live großartig klingt – unwiderstehlich, fessselnd, packend, befriedigend. Beim Hören im Moment scheint sie perfekt und in sich stimmig. Und wenn man die Aufnahme dann später noch mal hört, fragt man sich: Warte mal, war das wirklich dieses Konzert? Was ist mit der Vitalität passiert, die die Musik während des Auftritts getragen hat?
Irgendwo zwischen dem Erleben des improvisierten Spiels und dem Wiederhören auf Tonträger hat sich das Besondere aufgelöst und ist verschwunden; die Energie, die sich aus dem Moment ergeben hat, lag leider nur im Moment.
Dann wiederum gibt es Aufnahmen von improvisierter Musik, die MEHR vom Geschehen einzufangen scheinen. Man hört und nimmt Neues wahr. Wenn man dabei war, tadelt man sich, weil man nicht alles gehört hat, was auf der Aufnahme ist. Und wenn man nicht dabei war, ist man froh, weil man jedes Mal frei und unvorbelastet neu hören kann und nicht immer wieder auf Erinnerungen an die eigenen Gedanken, Gefühle und Stimmungen während des Auftritts zurückkommen muss.
Diese neue Duo-Aufnahme dokumentiert die erste Begegnung zwischen der Pianistin Ingrid Schmoliner und dem Klarinettisten Udo Schindler. Sie enthält Momente, die sich mit der Zeit ausdehnen und ihr eine weit über das Gängige hinausreichende Fülle verleihen.
Schmoliner und Schindler improvisieren Dynamik mit einem Sinn für räumliche Größe und Aufteilung, was angesichts von Schindlers Tätigkeit als Architekt vielleicht nicht so überraschend ist. Die Musik beginnt mit Einzeltönen Schmoliners, die klingen, als würden sie gegen eine Wand rennen: Nur ein verschobener Hall bleibt. Fast eine Minute lang bleibt Schindler stumm und lauscht der Sequenz von elf abgesetzt angeschlagenen Tönen. So ermöglicht er Schmoliner, sich zu finden, bevor er sich in das Klanggeschehen einschaltet.

Dieser Effekt der Distanzendynamik gibt beiden Musikern paradoxerweise kompletten Rückhalt: Sie wissen, sie sind beide dabei und nehmen Anteil.
Raum wird gegeben und wieder genommen. Sie streiten, ziehen sich zurück, kehren ergänzend wieder. Distanz in Sichtweite, Sehen aus der Distanz.

Sie lassen einander Auslauf und nehmen sich zurück (keine einfache Leistung für die besten Improvisatoren). Sie drängeln nicht und verzichten darauf, ständige Soundströme zu produzieren und dem anderen zu beweisen, dass sie zuhören. Sie warten, bis sie sich überzeugt fühlen; sie warten darauf, dass der andere sie überzeugt.
Schmoliner entdeckt eine andere Art von perkussivem Spiel als bei ihr üblich, wird katzenhaft- sinfonisch mit prähistorischen Klauen, die nicht bedrohlich sind und dafür umso sicherer ihr Ziel finden wie ein Regenbogen auf Schienen.
Schindler klingt wie Günter Müller, der Rudi Mahall auf den Kopf stellt, und seine Bassklarinette, die sich im letzten Track in einen diamantenschneidenden Analogsynthesizer verwandelt, wird zum perfekten Gegenpart für Schmoliners seelenvolles Jodeln in der Höhle der Atmosphäre.
Fallen gelassene weinende, rülpsende Laute werden mit einem Lippenschmatzen tief und spielerisch verquirlt und geknackt.

– Andrew Choate, Oktober 2016 / Friedrich Mader

 

Reviews

Süddeutsche Zeitung, 28.04.2014
Klangreisen

In Österreich ist Ingrid Schmoliner bereits eine Institution, hyperaktiv und vielseitig in Wien und Kärnten am Werke. Nach der klassischen Ausbildung am Landeskonservatorium Klagenfurt im Hauptfach Klavier kamen zum ebenfalls klassischen Gesang über sonstige Aus- und Weiterbildung stimmliche Qualifikationen hinzu, so in Oberton- und Jazzgesang sowie in Jodeln. Wegen ihrer Passion für improvisierte und experimentelle Musik lud Udo Schindler sie zum 44. Salon für KLANG + KUNST nach Krailling ein, mit ihm ad hoc im Duo zu improvisieren. Die Wahl der Klarinettenfamilie war hierfür sicher kein Zufall, fand sie doch mit den der menschlichen Stimme nahen Qualitäten reichlich Anknüpfungspunkte zu den Klängen Schmoliners. Diese hatten den Charakter einer Versuchsanordnung, denn in erster Linie nutzte die Pianistin den Flügel als ein Spielfeld akustischer Phänomene, die sie mit Präparation hörbar machte. Unzählige Stäbchen steckten da zwischen den Saiten des Flügels, die beim Anschlagen der Saiten in meist minimalistischen, sich wiederholenden rhythmisierten Pattern, bisweilen auch mechanisch-monoton, für dumpfe Glockenklänge sorgten. Sonstige Dämpfer und Beschwerer verhinderten nahezu gänzlich das Schwingen, sodass ein Bereich des Flügels beim Tastenspiel als Schlagwerk fungierte. Inhaltlich ging es Schmoliner um eine Gegenüberstellung von Ordnung und wildem Chaos, von feinsinnigen Klangnuancen und akustischer Reizüberflutung in virtuoser Pianistik. Überaus reizvoll waren dabei immer wieder die klangliche Finessen, die zusammen mit nicht weniger inspirierten Wind-, Schnalz-, Knutsch- oder sonstigen Geräuschen, aber auch fülligen Tönen aus Schindlers Klarinetten überraschende Wirkungen zu erzeugen vermochten. Der menschlichen Stimme fast gleich, stöhnten und winselten die durchs Reiben zum Schwingen gebrachten Holzstäbchen zwischen den Saiten, immer wieder auch im sakralgesanglichen Duo mit Klarinettenmotiven. Aber allmählich lichtete sich auch der Stäbchenwald im Flügel und Schmoliner suchte mit konventioneller Spielweise insbesondere für die Bass- und Kontrabassklarinette ein Gegengewicht zu schaffen. Am besten gelang dies jedoch mit Jodeln und Gesang, strömte doch gerade aus der Kontrabassklarinette eine gewaltige Klangmasse hervor, die auf die gesungenen Töne verstärkend wirkte, andererseits den Raum in starke Vibrationen zu versetzen vermochte. Schindler spielte meist zweistimmig, ließ zum Wabbeln in der Tiefe Walgesänge in Obertönen erklingen, um Schmoliners klare Vokal-Motive zu umfangen. Mit den Echoeffekten aus dem Flügel entstanden dabei durchaus malerische Klanglandschaften von bildhaft-suggestiver Ausdruckskraft. Eine faszinierende Reise durch fremdartige Tonsphären.

Reinhard Palmer

 

A journey into sound

In Austria, Ingrid Schmoliner is an institution already, working hyperactively and in many contexts in Vienna and Carinthia. A classically trained piano major at the Klagenfurt Conservatory, she expanded her repertoire with classical singing and other vocal qualifications like overtone and Jazz singing as well as yodeling. Due to her passion for improvised and experimental music, Udo Schindler invited her to Krailling for a session of ad hoc improvisations at the 44th Salon für KLANG + KUNST.
Surley, choosing the clarinet family for this program was no coincidence, since with its closeness to the human voice it offered many points of contact to Schmoliner’s sounds. Actually, these had the character of an experimenal setup, since she used the piano mainly for creating acoustic phenomena made possible by preparation. Countless sticks planted between the strings of the piano accounted for thudding bell sounds that were repeated in repetitive rhythm patterns, and at times in mechanic monotony. Additional weights and mufflers prevented almost all vibration, turning one part of the piano virtually into a percussion set.
In terms of content, Schmoliner opted for a strong contrast of order and chaos, of subtle sonic nuances and sensory overload by means of virtuous pianistics. Time and again, she introduced intricacies of lovely delicacy, that, coupled with no less inspired blowing, clicking, smooching and other sounds as well as fuller tones produced by Schindler’s clarinets, made for surprising effects. Almost indistinguishable from the human voice, the wooden sticks moaned and whimpered between the vibrating strings, building up to a duet of sacred chants with clarinet themes.
But gradually, the wood of sticks inside the piano thinned out as Schmoliner segued into more conventional playing to create a counterweight for the bass and contrabass clarinets.She managed to do so most successfully, though, by resorting to yodeling and singing, since the contrabass clarinet in particular emitted a powerful mass of sound, that managed to amplify the sung notes and to shake the whole house. Schindler mostly played two voices, accompanying his low rumbling with whale-inspired overtones, to embrace Schmoliner’s clear vocal lines. With the added echo effects from the piano, this amounted to gorgeous soundscapes of vivid expressivity. A fascinating journey through strange musical spheres.

Translation by Friedrich Mader

 

Salon für Klang+Kunst, der 44.:

UDO SCHINDLER traf sich am 24.4.2014 mit INGRID SCHMOLINER, der PARA-logischen Pianistin, die mit Badenhorst & Niggenkemper Watussi tanzte, auf ihrem Corvo-Album „Karlitsy Syuita“ vor Zwergenweitwurf nicht zurückschreckte und die sich gerne mit einer gewissen DAMN!-Attitüde an den Tasten vergreift. Ihre Begegnung, Blaublatt (cs 387) betitelt, macht unmittelbar ihre präpariert-perkussive Eigenart deutlich, die den Keys läutende Laute entlockt, repetitiv und verbunden mit ostinat klackender Mechanik. Neben verfremdeten Klängen geben die Tasten aber auch vollen Pianoklang her, aber mit Betonung auf ‚auch‘. Dem eher kleinlaut krabbelnden Käfer-Auftakt mit Klarinette folgt sogleich ein drehwurmig-gamelanesk gequirltes Interlude von cage’scher Couleur, jetzt mit bassklarinettistischer Hoch-Tief-Stapelei zu zuletzt agiler linker Hand. Schmoliner scheut sich nicht, bedächtig und feierlich zu klingen, Schindler zieht mit langen, gedämpften Haltetönen nach, für ein Nachtstück der mitternachtsblauen Sorte, bei dem die Österreicherin mit reibendem Daumen ein Käuzchen spielt. Mit federnden Klängen im Innenklavier und wischenden Lauten zu dunkelst murrendem Mundwerk, mit Beinahestille, Dulcimeranklang und tönernem Dongen zu träumerischer Klarinette sind wir bei einem der magischsten Momente, die dem Salon beschert wurden. Schindler klarimurrt und kirrt Spaltklänge zu holzigen Hieben und drahtig scharrendem Groove, der sich in abrupten Tastengriffen vollendet. ‚Wirr_flirren‘ spottet den iis mit wummerndem Kontrabass-Zungenschlag zu dissonant pickenden Sekundenschlägen und verquirlten Arpeggios. Schindler nötigt dem Instrument spitzes Stöhnen ab und dunklen Alphornton, zu dem Schmoliner zu jodeln und zu keckern anhebt, parzengrill und watzmannblau, frage nicht. [BA 93 rbd]